Standpunkt Stiftung: Mehr Eigenverantwortung wagen!
von Dr. Gereon Schuch, Geschäftsführer der Deutschen Stiftungsakademie
Wir alle kennen das: Die Vorgesetzten kontrollieren, geben frei, entscheiden. Alles muss über den Schreibtisch der Chefin bzw. des Chefs, schließlich übernehmen sie ja auch am Ende die Verantwortung. Diese Sicht ist ungefähr so zeitgemäß wie die Auffassung, dass ordentliche Arbeit nur am Büroschreibtisch geleistet werden kann. Allerdings befördern manchmal gerade Mitarbeitende diese Sicht, wenn sie Entscheidungen und die damit verbundene Verantwortung lieber nicht übernehmen wollen.
Gut funktionierende Arbeitsprozesse fallen nicht vom Himmel. Sie müssen entwickelt, beobachtet, kritisch reflektiert und immer weiter verbessert werden. Und da die Welt um uns herum sich verändert, müssen wir auch die Prozesse immer wieder anpassen. Gleichzeitig müssen Standards definiert und deren Einhaltung sichergestellt werden. Die dafür notwendige Kontrolle darf jedoch nicht zur Selbstbestätigung als Führungsperson, Verdeutlichung von Abhängigkeitsverhältnissen oder Vermeidung von Verantwortung missverstanden werden.
Würde nur Kontrolle ordentliche Arbeit sicherstellen, hätten ab März 2020 die Arbeitsergebnisse in vielen Organisationen deutlich schlechter werden müssen. Ich habe anderes erlebt und auch viele Kolleginnen und Kollegen haben mir berichtet, dass ihre Teams aus dem Home-Office genauso gut – vielleicht sogar noch besser gearbeitet haben. Könnte es unter anderem auch daran gelegen haben, dass manche Entscheidungen auf einmal zwangsläufig eigenverantwortlich wahrgenommen werden mussten – da die traditionellen präsenz-basierten und damit präsenz-kontrollierbaren Arbeitsprozesse nicht mehr funktionierten?
Gemeinsame Organisationskultur als Grundlage für Eigeninitiative und Verantwortung
Die Übertragung von Verantwortung und Handlungsspielräumen motiviert Mitarbeitende und bedeutet nicht, dass man damit das Ruder aus der Hand gibt. Handlungsspielraum heißt nicht Regellosigkeit und Beliebigkeit des Handelns. Denn natürlich tragen Vorgesetzte Führungsverantwortung und müssen dieser auch nachkommen. Kritisches Feedback und konstruktive Kritik sind aufwändig und zeitintensiv – Kontrolle ist viel einfacher.
Ich habe es aber als wesentlich gewinnbringender erlebt, Führung auf Gewährung von Handlungsspielräumen und Vertrauen zu gründen, als auf Kontrolle. Natürlich kann in einer Organisation nicht jeder machen, was er will. Es gibt unterschiedliche Interessenslagen und Kompetenzen. Gute Führung gleicht diese Interessenslagen aus und bündelt die Kompetenzen. Ausschlaggebend ist eine gemeinsame Vorstellung über das Ziel und die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, mit der man einen großen Teil der Lebenszeit verbringt. Die Verständigung über das gemeinsame Ziel und die Bildung einer identitätsstiftenden Organisationskultur ist zeitintensiv – aber sie lohnt sich.
Verantwortung auch im Team stärken
Nicht nur Führungskräfte wollen gestalten, alle Mitarbeitenden sollten als Mitgestaltende verstanden und behandelt werden. Das bedeutet: Mehr kollaborative Arbeitsinstrumente und Transparenz des eigenen Tuns, also eine Verknüpfung von Eigenständigkeit und Besprechungsformaten zur Steuerung der Zielerreichung. Denn das Verhältnis zwischen Leistungsanforderung und Eigenverantwortung muss immer wieder reflektiert und austariert werden. Das ist aber nur möglich, wenn die grundsätzliche Bereitschaft dazu besteht – von beiden Seiten!
Der Jahreswechsel ist immer wieder Anlass, Vorsätze für das neue Jahr zu fassen. Es wäre doch einen Versuch wert, im kommenden Jahr mehr Eigenverantwortung zu wagen!
In der DSA-Rubrik "Standpunkt Stiftung" werden ausgewählte Stiftungsthemen durch Meinungsbeiträge von Vertreterinnen und Vertretern aus der Stiftungswelt beleuchtet. Weitere Standpunkte finden Sie unter "Aktuelles".